NEIN wie gut war das!

Vor einem Jahr hat das Olympia-Referendum erfolgreich stattgefunden

Eine nachhaltige und smarte Bewerbung in einem demokratischen Land hätte es sein sollen, ein Olympia der kurzen Wege, eine Musterbewerbung ganz nach den neuen Kriterien der IOC-Agenda 2020. Aus der Traum – noch bevor die Spiele stattgefunden haben. Nein, hier geht es nicht um Hamburgs Olympiatraum, der zum Alptraum wurde, sondern um den Austragungsort der olympischen Sommerspiele 2020: Tokio. Dort steigen die Kosten dramatisch – von ursprünglich kalkulierten 6,4 auf aktuell geschätzte 27 Milliarden Euro. In Hamburg indes dürften ein Jahr nach dem Olympia-Referendum nicht wenige erleichtert sein, dass hier ein ähnliches Schicksal abgewählt wurde.

Die 51,6 % der stimmberechtigten Hamburger*innen, die am 29.11.2015 gegen die Bewerbung der Stadt für die Olympischen Sommerspiele 2024 votierten, dürfen sich heute bestätigt sehen. Manche unverdrossene Olympiabefürworter*innen jammern nach wie vor, dass dieses Mal in Hamburg aber wirklich alles anders gekommen wäre. Die Fakten sprechen dagegen. So bleibt die Hansestadt vollständig auf den bislang aufgelaufenen Kosten der Bewerbung hängen. Wieviel das ist, lässt sich immer noch nicht genau bestimmen, die Angaben schwanken zwischen knapp acht und über 12 Millionen Euro.[*1] Der Bund zahlt nichts, trotz anderweitiger Zusagen.

Wie schon bei anderen Großprojekten hat Hamburg schlecht verhandelt. Verbindliche Zahlungszusagen – z.B. im Gesellschaftervertrag der Bewerbungsgesellschaft – hat nur die Stadt gemacht. So konnte die Bundesregierung sich aus formalen Gründen aus der Zahlung bereits bereitgestellter Beträge rauswinden. Nach wie vor ist die Bewerbungsgesellschaft nicht komplett abgewickelt. Wie lange die Liquidation noch dauern wird, ist nicht absehbar. Laut Senatsaussage verschlingt das allein an monatlichen Personalkosten einen Betrag, der bei dem Doppelten von dem liegt, was NOlympia für die gesamte Kampagne zur Verfügung stand.

Die Gesamtsumme liegt inzwischen schon im Bereich dessen, was die Stadt insgesamt als Kosten für den gesamten Bewerbungsprozess bis September 2017 genannt hatte und dies ist nur ein Beispiel dafür, wie begrenzt die Haltbarkeit von Zahlen und Absprachen in Bezug auf Olympia-Bewerbungen ist. Auch in London – so berichtete das Handelsblatt kürzlich – sind die Kosten für den notwendigen Umbau des Olympiastadions nochmal um 100 Millionen Euro gestiegen – ein weiteres Erbe der Sommerspiele 2012.

Die Doping- und Korruptionsspiele von Rio zeigen den wahren Geist des IOC

Ein Blick zurück ein Jahr nach dem Referendum ist auch ein Blick zurück auf die Olympischen Sommerspiele von Rio. Nur wenige Monte nach dem Hamburger Nein hat das IOC alles daran gesetzt, zu demonstrieren, dass sämtliche Bedenken ihm gegenüber mehr als gerechtfertigt sind. In Hamburg hieß es während der Bewerbungsphase von den Befürworter*innen allenthalben, die “Reformagenda 2020” sei der Beweis dafür, dass die Herren der Ringe sich ändern wollten. Doch die Sommerspiele in Rio sind nur knapp am Totaldesaster vorbeigeschrammt.

Viele Medien machten vor allem die schwierige wirtschaftliche Lage und die politische Situation des Landes dafür verantwortlich. Der Hauptgrund ist jedoch die nicht mehr zu verleugnende Reformunfähigkeit und -unwilligkeit des IOC. Da wäre zum Beispiel der zwischen Ignoranz und Arroganz changierende Umgang mit den Erkenntnissen der WADA zu nennen – sowohl zum exemplarischen Dopingfall Russland als auch zu den Spielen in Rio selbst. Oder die Dreistigkeit, mit der der Ticketkorruptionsskandal herunter gespielt wurde, in dem immerhin eine Führungsfigur des IOC, der damalige Vorsitzende des Europäischen Olympischen Komitees Pat Hickey, eine zentrale Rolle spielte.

Die Paralympischen Spiele waren von heftigen Mittelkürzungen betroffen, mit dem sie die Verluste von Rio 2016 kompensieren mussten. Zuvor hatte das Paralympische Komitee den Ausschluss Russlands wegen der Dopingaffäre beschlossen und das IOC damit offenkundig verärgert. In der Stadt selbst waren und sind die üblichen Begleiterscheinungen zu spüren: Verdrängung unterprivilegierter Bevölkerungsgruppen, Kostensteigerungen, Umverteilung öffentlicher Gelder in private Kassen, Repressionsmaßnahmen.

Schon vor der Eröffnung der Spiele titelte das Online-Business-News-Magazin Quartz: “Die Olympischen Spiele erlauben es Demokratien, sich wie Diktaturen zu verhalten”. Trotz allem sprechen IOC-Funktionäre – ebenso wie ihnen verbundene Medien – von einem Erfolg. Aus Sicht von Bach und Konsorten mag das sogar stimmen: Die Bilder waren glamourös, und sie haben gut verdient. Den Preis zahlen wie gehabt andere. Da das offenbar auch ohne Reformen ganz gut funktioniert, ist die vor kurzem noch vielbeschworene Agenda 2020 schon wieder Schnee von gestern: In Rio hat Bach die unverbindliche Absichtserklärung nicht mal mehr erwähnt.

Olympia abzuwählen, war eine gute und weitsichtige Entscheidung

Auf der Ebene des hiesigen Sportfunktionärstums, beim Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB), sieht es kaum besser aus. Erst kürzlich bescheinigten die Unternehmensberater von Ernst&Young dem DOSB Intransparenz und massive strukturelle und finanzielle Defizite. Kein einziger Funktionär musste bisher aufgrund der gescheiterten Olympiabewerbungen von Hamburg und München bisher seinen Hut nehmen.

Selbstkritik? Fehlanzeige! Ein Jahr nach dem Olympia-Aus von Hamburg übt sich die DOSB-Führungsebene weiterhin in selbstmitleidiger Wählerbeschimpfung und sieht sich als Opfer äußerer Einflüsse. Die korrupte Fifa, der Terror von Paris, die Flüchtlinge oder wahlweise die Unsportlichkeit der Bürger*innen – Deutschland sei eben einfach nicht olympiatauglich, so das larmoyante Fazit des DOSB-Vorstandchefs Alfons Hörmann.

Hamburger Olympiabefürworter*innen hingegen sind vor allem mit einem beschäftigt: Sich nicht weiter mit den tatsächlichen Ursachen ihrer Niederlage beschäftigen zu müssen. Schnell wurde zur Tagesordnung übergegangen ohne ein Moment der kritischen Reflexion. Dabei gäbe es viel aufzuarbeiten. „Weil Hamburg nur gewinnen kann“ lautete der Slogan der inhaltsleeren und einseitig auf Emotionen setzende Kampagne der Olympia-Pusher. Über 2 Millionen Euro sind allein in den Werbeetat geflossen. Flankiert wurde diese Hurra-Stimmung von einer mächtigen Lobby aus Politik, Medien und Wirtschaft.

Ein detaillierter Blick auf die Abstimmungsergebnisse in den einzelnen Stadtteilen zeigt hingegen, dass vor allem diejenigen gegen die Olympiabewerbung gestimmt hatten, die über wenig Geld verfügen und die direkt von dem Großevent betroffen gewesen wären. Das Nein der Mehrheit der Bürger*innen ist somit ein klares Nein zu einer Stadtpolitik, die auf Eventisierung und Großprojekte setzt. Viele Hamburgerinnen und Hamburger haben sich geweigert, dem Senat einen Blankoscheck für Olympische Spiele auszustellen und damit eine Politik zu legitimieren, die auf eine Umverteilung öffentlicher Gelder zugunsten einiger Konzerne hinausläuft. Es wären die Steuerzahlenden in Hamburg und ganz Deutschland gewesen, die das komplette Finanzierungsriskio des Spektakels und seiner Auswirkungen auf die Stadtentwickung zu tragen gehabt hätten.

Das Nein zu Hamburg2024 ist ein Nein zum Ausverkauf der Stadt

Bei unseren zahlreichen Veranstaltungen im Vorfeld des Referendums haben wir viele Menschen getroffen, die die Hochglanz-Olympia-Vision des Senats nicht teilten und dafür gute Gründe hatten. Viele haben die Versprechen rund um Brot & Spiele schlicht nicht geglaubt: Alle profitieren, aber niemand zahlt – wo gibt’s denn das? Das Nein zu Olympia war ein wohl überlegtes Nein. Viele Bürgerinnen und Bürger können sich schon jetzt die Mieten und den Unterhalt in dieser Stadt kaum leisten. Im Zuge von Olympia befürchteten sie einen weiteren Anstieg der Lebenshaltungskosten – auch aufgrund der Erfahrungen in anderen Städten.

Die Aussicht auf eine zweite Hafencity auf dem Kleinen Grasbrook mit überdimensionierten Stadien und teuren Eigentumswohnungen (neben ein paar für 15 Jahre günstigeren Wohnungen) wurde mehr als Bedrohung denn als Verheißung empfunden. Solange dem rot-grünen Senat keine besseren Ideen zur Lösung sozialer Probleme einfallen als unwirksame Mietpreisbremsen und Drittelmixe, die den Nettoverlust an bezahlbarem Wohnraum nicht annähernd auffangen können, müssen Werbekampagnen für derartige Großprojekte am Realitätssinn der betroffenen Bevölkerung scheitern: Das Sein bestimmt das Nein.

NOlympia Hamburg ist angetreten mit der Forderung nach „Etwas Besserem als Olympia“. In unserer Resolution vom Frühjahr 2015 haben wir Ecksteine gesetzt, die nach wie vor aktuell sind. Wir sprechen uns für eine zeitgemäße und moderne Stadtentwicklung aus: Bottom-Up, ergebnisoffen und mit wirklicher Beteiligung aller, die durch Planungen tangiert werden. Eine Stadtentwicklung, die auf die Bedürfnisse der Menschen setzt und nicht auf Konzerne und Großinvestoren, die mit fragwürdigen Großprojekten und substanzlosen Marketingstrategien in die Stadt gelockt werden sollen. Wir setzen uns für die Stärkung des Schul- und Breitensports ein: inklusiv, für alle verfüg- und bezahlbar als öffentliche Aufgabe dauerhaft in öffentlicher Hand.

Ein Jahr nach dem geglückten Olympiareferendum gibt es nach wie vor viel zu tun. Die Blaupausen für die neue, an den Bedürfnissen der Menschen orientierte Stadt sind längst in Arbeit. Viele, die bei NOlympia Hamburg aktiv waren, engagieren sich weiter in den verschiedensten sozialen, künstlerischen und politischen Zusammenhängen für ein besseres Leben für alle Menschen in Hamburg. Lasst uns gemeinsam eine weltoffene, soziale, inklusive Stadt entwickeln und verwirklichen. Olympia ist das Letzte, was wir dafür brauchen.

 

*1: Meldungen zufolge beträgt die Summe offiziell 12,6 Millionen Euro.
Laut einer Pressemitteilung der “Linken”, die sich auf offizielle Auskünfte des Senats auf Fragen der Fraktion bezieht, sind für die Bewerbung inzwischen Kosten von 22 Millionen Euro aufgelaufen.