„Wer sich unter Zukunft und Fortschritt nur Großveranstaltungen vorstellen kann, leidet vor allem an einer mutlosen Phantasie. #nolympia“ (Mario Sixtus via Twitter am 30.11.2015)
Vor einer Woche wurden durch den Ausgang des Referendums die Olympia-Pläne Hamburgs für 2024 (und damit auch aller künftigen Avancen einer olympischen Bewerbung) faktisch beendet. Dieser Ausgang kam überraschend, auch für uns. Viele Olympia-Befürworter gaben sich zuvor äußerst siegessicher. Eine Woche später scheinen sich Senat, DOSB und die Wirtschaft noch nicht von diesem Schock erholt zu haben.
Wir dagegen sind sehr erfreut über den Ausgang des Referendums. Wir sind uns sicher, dass damit von der Stadt Hamburg großer Schaden abgewendet und ein finanzielles Abenteuer verhindert wurde. Wir maßen uns nicht an, dieses Ergebnis allein der Arbeit von NOlympia und den anderen Olympia-Gegner_innen (wie Grüne Jugend, fairspielen.de, Volksinitiative Stopp Olympia, BUND Hamburg, vieler anderer Initiativen und schließlich der Linkspartei) zu zuschreiben, aber wir haben unseren Teil dazu beigetragen: Unsere Recherchen, Veröffentlichungen, Diskussionen, Gespräche und Plakate haben kritische Argumente gegen das Konzept Olympia und die Hamburger Pläne in die Diskussion gebracht. Damit wurde ein Gegengewicht zum erdrückenden Feuer-und-Flamme-Medienrummel und zur oberflächlichen, faktenarmen Werbekampagne von Pro- Olympia gebildet. Unsere Argumente und unsere klares und eindeutiges NEIN zu den Olympia-Plänen hat viele Hamburger_innen motiviert, sich selbst ein Bild von den Plänen, ihrer Finanzierung auf der einen und den Risiken und Gefahren auf der anderen Seite zu machen.
Überhaupt zeigt der Ausgang des Referendums, dass viele durchaus bereit waren, sich mit dem Thema eingehend zu beschäftigen, sich eine Meinung zu bilden oder nach Diskussion und Abwägungen auch ihre bisherige Position zu ändern. (Das gilt auch für viele junge Erstwähler_innen, wie wir aus unzähligen Veranstaltungen in den Schulen im Rahmen von „It‘s your choice“ erfahren konnten). Wir glauben, dass bei vielen Menschen dieses Umdenken zu einem NEIN im Laufe der letzten Monate passiert ist, gerade weil sie sich ausführlich mit dem Hamburger Olympiakonzept beschäftigt haben. Wir finden diese Entscheidung gegen die Olympia-Pläne nicht feige oder ängstlich, wie es in den letzten Tagen von Olympia-Befürwortern unterstellt wurde, sondern richtig und mutig. „Äußere Faktoren“, also Ereignisse außerhalb Hamburgs (diverse Sportskandale, die Anschläge in Paris), haben bei dieser Meinungsbildung nur am Rande eine Rolle gespielt, worauf alleine schon die hohe Anzahl an abgegebenen Stimmen vor den Anschlägen in Paris hindeutet.
Wichtiger Auslöser für das Umdenken war eine kaum versteckte Arroganz, die aus allen Äußerungen der pro-olympischen Seite, sei es von Senat, von Privatwirtschaft und Sport- verbänden bzw. deren gemeinsame Bewerbungsgesellschaft Hamburg2024, sprach: „Stimmt mit Ja. Ihr müsst euch nicht für die Details interessieren. Es muss Euch genügen, wenn wir euch versprechen, dass Olympia ganz toll wird und uns allen nützen wird.“
Demgegenüber konnten sich Wähler_innen recht einfach im Netz, in den sozialen Medien, auf verschiedenen Webseiten und auch durch unsere Informationsangebote darüber informieren, dass olympische Spiele so ziemlich das schädlichste Unterfangen für eine Stadt und die Mehrheit ihrer Bewohner_innen sind. Viele werden sich aber auch schlicht gefragt haben, ob wir zur Zeit nicht dringlichere Themen in unserer Stadt haben: Die Wohnungsnot und die sogenannte Flüchtlingskrise sind da nur zwei naheliegende Stichworte.
Die Überheblichkeit der Pro-Seite ist nach dem Ausgang des Referendums in eine trotzige, engstirnige, fast gehässige Stimmung gekippt: Plebiszite und öffentliche Debatten werden in Frage gestellt und ebenso die Kompetenz der Wähler_innen. Wir halten diese Reaktionen für falsch und auch gefährlich. Sie sind eine Geringschätzung aller Wähler_innen und stellen nachträglich den monatelanger Prozess einer demokratischen Meinungsbildung in Frage. Diese Reaktionen sind aber auch eine Strategie, um die durch das Ergebnis des Referendums in- newohnende Kritik an den Plänen und Handlungen des Senats, der Handelskammer und des DOSB zu ignorieren und trotz der Niederlage unverändert an einer gescheiterten Politik fest- zuhalten. Anstatt also im eigenen Tun nach Fehlern zu suchen, gar die vielschichtige Kritik der Olympia-Gegner_innen nach Hinweisen auf das eigene künftige Handeln zu durchsuchen, wird auf Durchzug geschaltet. Es gab zwar in den letzten Tagen erste leise selbstkritische Töne zu vernehmen, aber diese zarte Tendenz reicht noch lange nicht aus.
NOlympia Hamburg hat seit seiner Gründung und der Verabschiedung der Resolution „Olympia Wahnsinn stoppen“ im April 2015 seine Kritik an den Olympia-Plänen klar benannt und immer wieder mit Fakten begründet:
- Die immensen Olympia-Kosten sind nicht kalkulierbar und werden die öffentlichen Haushalte massiv und über viele Jahre belasten;
- es ist offensichtlich, dass das Konzept Olympia dazu dient, Ausgaben zu sozialisieren und Gewinne zu privatisieren;
- wir befürchten, dass mit Olympia städtebauliche Planungen durchgesetzt werden, die nicht im Interesse (oder zum Nutzen) der Bevölkerung sind;
- die Vermittlung der stadtplanerischen Visionen sprechen für eine sehr undemokratische Form der Stadtentwicklung, diese muss aber vor allem auf ergebnisoffener, wirklicher Beteiligung basieren;
- die Planung, Entwicklung und schließlich Durchführung des Mega-Events Olympia würde sich nur durch einen permanenten Ausnahmezustand realisieren lassen, der jede Kritik oder gar bloße Bedenken zur Seite wischt und alle Aufmerksamkeit und Kapazitäten von der Lösung anderer Probleme abzieht.
Es gibt – davon sind wir fest überzeugt – etwas Besseres als Olympia! Das heißt: Hamburg hat eine Menge Perspektiven – jenseits von Großevents und Ausnahmezuständen. Jede_r Bewohner_in ist Expert_in dieser Stadt. Nutzen wir unser Wissen, um gemeinsam Lösungen auf wichtige Fragen zu finden: Wie muss eine Stadt gestaltet sein, um zu einer Ankommensstadt zu werden? Wie kann der Breitensport langfristig gestärkt werden und Inklusion für alle Stadtteile und Sporthallen umgesetzt werden? Wie können die vielen Ideen einer anderen Stadt, die jetzt schon im Alltag von vielen Bewohner_innen und Initiativen entwickelt werden, auf eine größere Basis gestellt werden? Wir sehen durch die Diskussionen der letzten Monate eine Chance, diese Ansätze künftig stärker in eine gemeinsame städtische Praxis zu bringen.
Hamburg ist die siebte Stadt in zwei Jahren, die sich gegen Olympia entscheidet. Damit ist die Zeit von olympischen Spielen in ihrer jetzigen Form vorbei. Es kann auch keine Stadtplanung von oben mehr geben, in der scheinbar fertige Konzepte nur noch bejubelt werden dürfen. Wir brauchen stattdessen eine Vision einer sozialen Stadt, mit Wohnraum und guten Lebensbedingungen für Alle, ohne Ausgrenzung und Diskriminierung. Goodbye Megaevents, hallo besseres Leben in der Stadt von Morgen!
Gerne würden wir hier noch über die unrühmliche Rolle der Hamburger Medien sprechen. Die Berichterstattung war nicht fair und ausgewogen. Auch investigative Untersuchungen, für die es viele Ansätze gegeben hätte, waren die Ausnahme. Gerne würden wir hier auch über das IOC und die gravierenden Probleme von sich selbst kontrollierenden Sportfunktionärsverbänden sprechen. Des weiteren über die Schattenseiten des Spitzensports und den Einfluss der milliardenschweren Sponsoren. Gerne würden wir ein paar Worte verlieren über die Instrumentalisierung von Kunst und Kultur, erkauft mit temporären Finanzspritzen, die den Kultureinrichtungen und den dauerhaften Förderwegen von Kunst und Kultur fehlen. Wir würden auch eine Diskussion begrüßen, welche die Rolle des Senats, der Behörden und städtischer Firmen bei diesem Referendum reflektiert. Es wurde auf verschiedenen Ebenen deutlich Werbung für Pro-Olympia gemacht, so in den Email-Signaturen von Behörden oder durch die Beflaggung öffentlicher Gebäude mit pro-olympischen Motiven selbst am Abstimmungstag. Wir befürchten, dass sich solcherart Einflussnahme der Exekutive bei künftigen Plebisziten noch stärker zeigen wird. Gerne würden wir über die Akteure aus der Privatwirtschaft sprechen, von ECE und Co., die die prolympischen Pläne entscheidend vorangetrieben haben und die sicherlich die eigentlichen „Goldmedaillengewinner“ geworden wären, wenn denn Hamburg die Hürde des Referendums genommen hätte. Alle diese Aspekte können wir hier nur anreißen. Wir hoffen aber, dass wir bei anderen Anlässen dazu kommen, auf sie genauer einzugehen.
Nach monatelangen, ehrenamtlicher Engagement und dem gewonnenen Referendum freuen wir uns, uns jetzt wieder um wichtigere Sachen als Olympia kümmern zu können. Das ist – neben unserem zu kurz gekommenen Privatleben – vor allem die Mitarbeit in den Projekten und Kontexten, aus denen wir stammen oder für die wir uns gerne engagieren wollen: Sei es die Recht-auf-Stadt-Bewegung, die große und großartige Herausforderung aus Hamburg eine Stadt des Ankommens zu machen oder viele andere, kleine und große Projekte. Wir möchten alle auffordern, sich ebenfalls daran zu beteiligen, aus Hamburg eine offenere, bessere, schönere, also vor allem gerechtere, sozialere und inklusivere Stadt zu machen. Diese Veränderung kann von uns allen ausgehen, dazu brauchen wir kein IOC und keine irrwitzigen Großprojekte!
Allen enttäuschten Sportler_innen möchten wir noch sagen: Sport ist wichtig und soll auch weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Aber die Welt des Spitzensports und der Sportfunktionäre muss dringend und tiefgreifend reformiert werden. Sport muss sauber werden und wirklich inklusiv. Korruption, schwarze Kassen und Verletzung der Menschenrechte müssen bekämpft werden. Das alles ist – nicht nur, aber auch – Eure Aufgabe! Dabei darf ein allen offenstehender Breitensport nicht gegen einen Hochleistungssport mit seinem starkem ökonomischen Verwertungsdruck und dem hohen Risiko gesundheitlicher Folgeschäden ausgespielt werden. Beschimpfungen der Nein-Wähler_innen helfen dagegen weder dem Sport noch einer verkümmerten olympischen Idee.
Zum Schluss noch ein großer Dank an alle, die gegen die Olympia-Pläne gestimmt haben! Wir bedanken uns vor allem auch bei allen Menschen, Gruppen und Institutionen, die jeweils für sich selbst aus eigener Initiative oder mit uns dafür gekämpft und geackert haben, dass die Olympia-Pläne für Hamburg 2024 gekippt werden. Danke auch den vielen, hiesigen wie internationalen Aktivist_innen, Journalist_innen und Wissenschaftler_innen, die geholfen haben, die Schwachpunkte und Problemstellen des städtischen Konzepts und der olympischen Spiele aufzudecken. Danke!
NOlympia Hamburg, Dezember 2015